14. Juni 2010
Eine WM ist immer auch ein Spiel der Farben und Klänge. Welche wird dominieren? Am Sonntag war Durban gelb, grün und laut geworden. Die lustigen Australier waren dort eingefallen, lachend, singend, feiernd. Sie hatten die schwarz-weißen Deutschen, deutlich in der Minderzahl, optisch und akustisch weit übertroffen. Doch am Ende verstummten sie. Es war jemand gekommen und hatte die Luft aus ihren aufblasbaren Kängurus gelassen. „Die waren viel zu stark für uns“, sagte ein Fan beim tristen Abmarsch aus dem Stadion in seine schweigende Gruppe hinein. Die anderen nickten stumm.
Drinnen, unter dem gewaltigen Bogen der Arena von Durban, wurde stattdessen ein sonst schweigsamer Deutscher ganz redselig. „Ich weiß, was ich kann. Ich habe mich heute super gefühlt und konnte meinen Teil dazu beitragen“, erzählte Miroslav Klose. Mit seinem Kopfball zum 2:0 in der 26. Minute hatte er sich von einer Last befreit - von dem Verdacht, er sei über sein Verfallsdatum als Torjäger hinaus. Eine Schar junger Kollegen, die im Durchschnitt nicht einmal 25 Jahre alt war, ließ Klose, der beim FC Bayern manchmal wie ein Fußball-Rentner gewirkt hatte, wieder zum Jüngling werden. „Man hat gesehen, dass wir eine sehr junge Mannschaft haben“, sagte der 32-Jährige munter. „Und dass wir Spaß haben“.
Und wir erst! Das durften sich mehr als zwanzig Millionen Deutsche sagen, die den wunderbaren Sonntag abend am Fernseher verfolgten. Den famosen Özil, den frechen Müller, den starken Khedira, all den feinen, frischen Fußball des neuen, jungen Deutschland. Der Ball zirkulierte in einer Weise, flitzte mit einer Finesse von Fuß zu Fuß, jagte mit einer Präzision und Geschwindigkeit flach in die Tiefe, dass es einem fast spanisch vorkommen konnte. Das war beste Unterhaltung: erst ein wenig Spannung, dann brillante Bilder, perfekte Technik, dynamische Action, sympathische Helden, und vor allem: Das Gute gewann.
Fortsetzung der Bayern-Story
Diese Mannschaft macht, wie es aussieht, da weiter, wo der FC Bayern in der Champions League aufgehört hat - und das nicht nur, weil sie fast zur Hälfte aus Bayern besteht. Sie hat das Zeug dazu, die Begeisterung für ein Spiel, das seinen Zuschauern auch bei einer WM immer wieder Langweiliges, Mutloses, Ödes bietet, stets von Neuem zu entfachen wie ein Gläschen Champagner. Das war zwar noch kein echter Rausch, in den diese Partie Fußball-Deutschland stieß, aber doch ein erster Schwips, der der das Sommergefühl von 2006 ein wenig zurückholte.
Die Mannschaft ist nicht nur jung, sie ist auch schon reif. Sie hat jugendliche Veteranen wie Lahm, Podolski, Schweinsteiger, die wissen, dass es nur ein erster Schritt war und Australien nicht in derselben Liga spielte. „Defensiv müssen wir noch besser stehen“, mahnte Schweinsteiger. Auch Joachim Löw sah „noch kleine Fehler“, konnte aber sein Jubiläum mit dem fünfzigsten Spiel als Bundestrainer spätestens nach Müllers 3:0 „auch ein wenig genießen“.
Wie einst 1990
Man vergaß nicht, dass die Australier kein Maßstab für die deutschen WM-Aussichten waren. „Sie sind ein starkes Team, aber wir haben es ihnen leicht gemacht“, klagte deren Kapitän Lucas Neill. Vor dem Spiel hatte man Guus Hiddinks Australier von 2006 vor Augen, die damals Uruguay aus der WM-Qualifikation und Kroatien aus der Vorrunde geworfen hatten und denen nur vom Schiedsrichter die Sensation gegen Italien verwehrt worden war. Aber die Australier von 2010, trainiert von Hiddinks damaligem Assistenten Pim Verbeek, sind in die Jahre gekommen, haben sich nicht erneuert. Mit einem Durchschnittsalter von fast 31 waren sie vom deutschen Jugendstil völlig überfordert.
Ein Abend, der Freude und Vorfreude machte. Nur Cacau hatte auf deutscher Seite nach Schlusspfiff schlechte Laune. Dabei war er Mitte der zweiten Halbzeit für Klose gekommen und hatte gleich sein Tor schießen dürfen. Aber der gebürtige Brasilianer debattierte nach dem Ende mit dem mexikanischen Schiedsrichter über seine Gelbe Karte, die vermutlich die überflüssigste der WM bleiben wird - erhalten in der Nachspielzeit beim Stand von 4:0 wegen einer Schwalbe.
Es war eine kleine Erinnerung daran, dass der Abend trotz all seiner Leichtigkeit nur ein Anfang war, mit kollektiver Klasse, aber auch kleinen Schwächen, die sich später im Turnier, gegen stärkere Gegner, rächen können. Auch Özil hatte für einen vom Schiedsrichter als freiwillig eingestuften Sturz Gelb gesehen. So produzierten die beiden überflüssige Altlasten, die sich in einem langen Turnier noch zu blöden Sperren addieren können.
Aber das war es dann auch schon mit dem, worüber sich mäkeln ließ. Für viele war es das beste deutsche WM-Auftaktspiel seit 1990, seit dem 4:1 gegen Jugoslawien. Und das, wer erinnerte sich nicht gern daran, war das große Spiel von Lothar Matthäus - und der erste Schritt zum letzten Weltmeistertitel.